Center for Psychology in Schools and Education; Coaliton für Psychology in Schools and Education; APA Staff Liaisons, 2017.
Die 20 wichtigsten Prinzipien aus der Psychologie für das Lehren und Lernen von kreativen, talentierten und begabten Schülern
Quelle im Internet Englisches Origninal
Einführung
Die psychologische Wissenschaft kann viel zur Verbesserung des Lehrens und Lernens sowohl im Regelunterricht als auch im Unterricht für Hochbegabte beitragen. Lehren und Lernen sind eng mit den sozialen und verhaltensbezogenen Faktoren der menschlichen Entwicklung verknüpft, darunter Kognition, Motivation, soziale Interaktion und Kommunikation. Die Wissenschaft kann auch wichtige Erkenntnisse über einen effektiven Unterricht, ein lernförderndes Umfeld im Klassenzimmer und einen angemessenen Umgang mit Daten, Tests und Messungen sowie mit Forschungsmethoden liefern, die für die Praxis der Begabtenförderung von Nutzen sind. Wir präsentieren hier eine Liste der wichtigsten Prinzipien aus der Psychologie – die „Top 2O“. Jedes Prinzip wird benannt und beschrieben, es wird einschlägige Literatur zur Untermauerung angeführt und seine Relevanz für den Hochbegabtenunterricht wird diskutiert.
Die Arbeit zur Identifizierung und Übersetzung psychologischer Grundsätze wurde ursprünglich von einer Gruppe von Psychologen durchgeführt, die als „Coalition for Psychology in Schools and Education“ bekannt ist und von der American Psychological Association (APA) unterstützt wird. Die aktuelle Version erweitert das früher allgemein gehaltene Dokument um Informationen speziell für den Kontext der Begabtenförderung.
Hintergrundinformationen für wissenschaftlich Interessierte
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe vertreten ein breites Spektrum von Subdisziplinen der Psychologie, einschließlich Evaluation, Messung und Statistik; Entwicklungspsychologie; Persönlichkeits- und Sozialpsychologie; Psychologie der Ästhetik, Kreativität und Kunst; Beratungspsychologie; Pädagogische Psychologie; Schulpsychologie; Gemeindepsychologie; Psychologie der Frau; Medienpsychologie und -technologie; Gruppenpsychologie und Gruppenpsychotherapie; psychologische Studien über Männer und Männlichkeit sowie klinische Kinder- und Jugendpsychologie. Weiter waren Verbandsvertreter und Fachleute für Angelegenheiten ethnischer Minderheiten, Tests und Bewertung, Psychologielehrer an weiterführenden Schulen, Kinder, Jugendliche und Familien sowie psychologische Ehrengesellschaften beteiligt. Die Mitglieder der Koalition sind beschäftigt in K-12-Schulen sowie an Hochschulen und Universitäten in den Bereichen Pädagogik, Geisteswissenschaften und Wissenschaft. Einige Mitglieder sind in freier Praxis tätig. Alle verfügen über Fachwissen in der Anwendung der Psychologie in der frühen Kindheit, im Grundschul-, Sekundarschul- oder Sonderschulbereich.
In der Begabtenpädagogik gibt es noch keine allgemeingültigen Definitionen von Begabung, Talent und Kreativität und Wege, wie diese Konstrukte sie gemessen werden sollten. Dies hat unsere Aufgabe erheblich erschwert. Welche Schüler als begabt, talentiert oder kreativ gelten, hängt von den örtlichen oder staatlichen Richtlinien ab. Verschiedene Schulen verwenden unterschiedliche Identifikationskriterien und Grenzwerte. Darüber hinaus identifizieren einige Schulen Schüler auf Grundlage ihrer Leistungen in bestimmten Fächern (Mathematik, Sprachen …), während andere mehr ganzheitlich vorgehen. Solche Unterschiede bei der Identifikation können wesentlich dafür sein, welche Fördermethoden jeweils angemessen sind. Pragmatisch benutzen wir den Begriff “gifted” und fassen darunter zusammen kognitive Begabung, Talent und Kreativität. Die Fachleute in unserem Projekt haben auf dieser Basis gearbeitet und die zu nutzenden wissenschaftlichen Ressourcen diesem Problem Rechnung getragen haben.
Methode
Die Methode zur Ableitung der Top-2o-Prinzipien war wie folgt: Zunächst wurde jeder Teilnehmer der Arbeitsgruppe aufgefordert, die Konstrukte und „Kernels“ (= Prinzipien; s. Embry & Biglan, Zoo8) der Psychologie zu identifizieren, die als wesentlich für die Erleichterung des erfolgreichen Lehrens und Lernens gelten. Dieser Prozess führte zur Identifizierung von etwa 45 Kernels/Prinzipien. Anschließend wurden diese Grundsätze kategorisiert, validiert und konsolidiert.
Der erste Schritt bestand darin, die 45-Prinzipien nach Schlüsselbereichen der Anwendung im Unterricht zu gruppieren (z. B. Wie denken Schüler und lernen?). Dies wurde in iterativem Prozess über mehrere Sitzungen der Koalition hinweg durchgeführt.
Zweitens wurde ein Validierungsverfahren für die 45 Grundsätze durchgeführt. Es wurden mehrere nationale Veröffentlichungen von Lehrplänen analysiert, um festzustellen, ob jeder dieser Grundsätze auch von einer breiteren Gemeinschaft von Pädagogen als entscheidend für die Lehrerpraxis eingestuft wurde. Es wurden verglichen
+ die APA-Standards für High-School-Lehrpläne in Psychologie,
+ die Praxis-Prüfung Principles of Learning and Teaching des Educational Testing Service,
+ Dokumente des National Council for the Accreditation of Teacher Education,
+ die “InTASC-Standards” (Interstate Teacher Assessment and Support Consortium),
+ ein populäres Lehrbuch der Pädagogischen Psychologie – und
+ der Blueprint for Training and Practice der National Association of School Psychologists.
Diese Dokumente wurden nach Belegen dafür durchsucht, was Lehrer wissen oder können und ob diese Erwartungen mit den von der Koalition festgelegten Grundsätzen in Verbindung gebracht werden konnten. Alle Grundsätze wurden in einem oder mehreren Dokumenten unterstützt. Daher wurden alle für den nächsten Schritt, das Validierungsverfahren, beibehalten.
Drittens verwendete die Arbeitsgruppe, um die wichtigsten der 45 Prinzipien/Kernels zu identifizieren, ein modifiziertes Delphi-Verfahren (nach dem Vorbild des Institute of Medicine – Verbesserung der medizinischen Ausbildung: Verbesserung des Verhaltens und der sozialwissenschaftlichen Inhalte von Lehrplänen an medizinischen Fakultäten1). Mithilfe eines Skalensystems bewerteten jeweils vier Mitglieder der Koalition jeden der Grundsätze und wiesen diesem eine hohe, mittlere oder niedrige Priorität zu (1-3). Die Durchschnittswerte für jeden Punkt wurden berechnet. Auf der Grundlage der Mittelwerte wurden die Grundsätze mit niedriger Priorität aussortiert, so dass 22 Grundsätze übrig blieben. Diese wurden dann auf ihre Beziehung zueinander untersucht und zu der hier vorgestellten endgültigen Liste der 20 zusammengefasst.
Viertens wurden dann diese Top-2o-Prinzipien fünf psychologischen Kategorien zugeordnet.
+ Die ersten acht Grundsätze beziehen sich auf Kognition und Lernen und behandeln die Frage Wie denken und lernen Schüler?
+ Die nächsten vier (9-12) erörtern die Frage: Was treibt Schüler an? Motivation
+ Die folgenden drei (13-15) beziehen sich auf den sozialen Kontext und die emotionalen Dimensionen, die sich auf das Lernen auswirken, und konzentrieren sich auf die Frage, warum der soziale Kontext, zwischenmenschliche Beziehungen und das emotionale Wohlbefinden für die Schüler wichtig sind. Social-emotional learning
+ Die nächsten beiden Grundsätze (16-17) beziehen sich auf den Zusammenhang zwischen Lernen und Lernumgebung: Classroom Management.
+ Die letzten drei Grundsätze (18-2o) schließlich befassen sich mit der Frage Wie können Lehrkräfte die Fortschritte der Schüler beurteilen? Assessment REFERENZEN zu diesem Abschnitt
Erste Abteilung: Kognition und Lernen
Prinzip 2: Was Schüler bereits kennen, beeinflusst ihr Lernen
Die Schüler kommen in die Klassenzimmer mit Wissen aus ihren Alltagserfahrungen, sozialen Interaktionen, Intuitionen und dem, was ihnen in anderen Zusammenhängen und in der Vergangenheit beigebracht wurde. Dieses Vorwissen beeinflusst die Art und Weise, wie sie neue Lerninhalte aufnehmen. Ihr Lernen ist entweder eine Erweiterung des Wissens (conceptual growth) oder eine Transformation oder Revision des Wissens (conceptual change).
Ihr Vorwissen kann das neue Lernen unterstützen oder behindern, aber was passiert, wenn die Schüler den Lehrstoff bereits kennen und ein wiederholender Unterricht ihr Verständnis nicht vertieft? Empirische Belege zeigen, dass „Überlernen“ die Leistung von Schülern mit hohen Fähigkeiten nicht steigert. Ein Schüler, der zum Beispiel den Zweck und die Funktion verschiedener Teile einer Rede kennt oder der weiß, wie schwierige Division durchzuführen sind, profitiert nicht von wiederholtem Unterricht zu diesen Themen. Tatsächlich führt die Präsentation von Inhalten, die bereits verstanden und beherrscht werden, zu negativen Ergebnissen bei den Schülern, wie z. B. Desinteresse, Langeweile, schlampige Arbeit, Frustration und negative Einstellung zur Schule.
Einiges deutet darauf hin, dass begabte Lernende eine besser organisierte Wissensbasis haben. Sie können Informationen effizienter kodieren, haben mehr Strategien zur Informationsverarbeitung zur Hand und können Problemlösungsstrategien schneller anwenden als andere. Diese besonderen akademischen Bedürfnisse sollten in der Schule gleichberechtigt berücksichtigt werden. Denn: Optimales Lernen findet dann statt, wenn der Schwierigkeitsgrad der Lernaufgabe und das Fähigkeitsniveau des Lernenden übereinstimmen.
Die Lehrkräfte können sich ein Bild davon machen, inwieweit die Schülerinnen und Schüler die Lerninhalte bereits beherrschen, indem sie vor dem Unterricht zu einem bestimmten Thema Tests durchführen. So erfahren sie, was die Schüler bereits über ein Thema wissen, so dass sie den Unterricht zu den bereits beherrschten Inhalten streichen können – zugunsten eines im Erleben der Schüler angemessenen und anspruchsvollen Unterrichts. Dieser Prozess wird oft als Lehrplanverdichtung (Compacting) bezeichnet.
Lernen als konzeptionelles Wachstum findet statt, wenn der zu lernende Stoff dem Wissen der Schüler angemessen ist. Lernen als konzeptionelle Anpassung/Änderung findet statt, wenn das Wissen der Schüler in Bezug auf die zu lernenden Inhalte inkonsistent oder fehlerhaft ist.
Viele verbreitete Fehlvorstellungen werden sowohl von Schülern als auch von Erwachsenen vertreten, insbesondere in Fächern wie Mathematik und Naturwissenschaften. Eine konzeptionelle Anpassung/Änderung im Wissen der Schüler zu bewirken ist weit schwieriger als ihr Wissen zu erweitern, weil falsche Vorstellungen dazu neigen, sich in der Argumentation festzusetzen und sich nur schwer ändern lassen. Schüler wie Erwachsene auch können widerständig gegen eine Änderung ihres Denkens sein, denn dieses ist ihnen vertraut. Sie halten es für verlässlich.
Relevanz für Lehrer
Die Lehrkräfte spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, zu beurteilen, was begabte Schüler bereits wissen, und ihnen die Möglichkeit zu geben, neuen Stoff zu lernen, falsche Vorstellungen zu hinterfragen und neue Fähigkeiten zu erwerben:
indem sie ihnen helfen, die Diskrepanz zwischen ihrem eigenen Denken und dem korrekten Lehrplanmaterial oder den Konzepten bewusst zu machen. Zum Beispiel: Die Lehrer können die Schüler aktiv an der Vorhersage von Lösungen oder Prozessen beteiligen und dann zeigen, dass diese Vorhersagen falsch sind. Die Lehrkräfte können den Schülern auch glaubwürdige Informationen oder Daten vorlegen, die ihren falschen Vorstellungen widersprechen.
REFERENZEN