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Ein Beispiel aus der Praxis – Die demokratische Schule Berlin Quelle
Aus der Konzeption der Schule – Kap. 4: Die Struktur der Schule
Die Struktur der Demokratischen Schule X ist geprägt durch die Schulversammlung und das Justizkomitee. Zudem sind Vermittlung und Mediation in Konfliktfällen vorgesehen. Informelle Hierarchien sollen vermieden werden.
4.1 Die Schulversammlung
Die Schulversammlung ist das beschlussfassende Gremium der Schule. Sie trifft sich min[1]destens ein Mal pro Woche und besteht aus allen Schülern und allen, die an der Schule als Mitarbeiter tätig sind. Entscheidungen werden durch Mehrheitsbeschluss gefällt. Jeder Schü[1]ler und jeder Mitarbeiter hat dabei eine Stimme.
Die Schulversammlung regelt alle Angelegenheiten der Schule. Dazu zählen die Regeln für das Zusammenleben in der Schule, die Verwendung des der Schule vom Verein zugewiesenen Budgets, die Entscheidung, welche Mitarbeiter künftig an der Schule tätig sein sollen, Beschlüsse über Neuanschaffungen und die gesamte Schule betreffende Unternehmungen. Die Schulversammlung kann einzelne Aufgaben und Befugnisse an einzelne Mitglieder oder kleine Gruppen delegieren, indem sie Zuständige benennt und Komitees und Arbeitsgemeinschaften gründet.
Die Demokratische Schule X ist also alles andere als eine „Schule ohne Regeln“. Allerdings werden die Regeln von der Schulversammlung diskutiert und auf demokratische Weise beschlossen.
Entscheidungen, an denen sich jeder beteiligen kann, werden eher akzeptiert als einseitige Anordnungen. Selbst wenn nicht jeder Einzelne inhaltlich hinter allen Regeln steht, so respektiert er die Regeln zumeist dennoch, da sie durch ein faires und von allen anerkanntes Verfahren zustandegekommen sind. Jeder eingebrachte Antrag muss sich der kritischen Prüfung durch die anderen Teilnehmer stellen. Jeder hat die Gelegenheit, seine Einwände vorzubringen und eigene Vorschläge zu unterbreiten. Wer mit den vorgeschlagenen Lösun[1]gen unzufrieden ist, kann versuchen, eine Mehrheit für einen Alternativentwurf zu gewinnen. Da die Entscheidungen stets von einer Mehrheit getragen werden, ist eine hohe Akzeptanz gesichert. Demokratische Mehrheitsentscheidungen fördern freiwillige Kooperation und ermöglichen friedlichen Dissens.
Durch die Schulversammlung entwickeln Schüler jeden Alters ein ausgeprägtes Demokratieverständnis. Sie haben die Gelegenheit, Demokratie hautnah zu erfahren. Den Schülern wird bewusst, dass die Regeln, die ihr Zusammenleben betreffen, nicht von einer höheren Macht stammen, sondern von ihnen selbst. Sie wissen, dass die Regeln veränderbar sind, und bekommen die Auswirkungen veränderter Regeln direkt zu spüren. *
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* Um die Zahl der Regeln in Grenzen zu halten, sind folgende Maßnahmen denkbar: In der Debatte vor der Beschlussfassung über eine Regel wird geprüft, ob sie tatsächlich notwendig ist und ob sie mit der Satzung des Trägervereins vereinbar ist. Regeln können befristet sein, das heißt nach Ablauf eines Verfallsdatums automatisch außer Kraft treten. Regelmäßig, zum Beispiel einmal im Jahr, soll eine dazu bestimmte Gruppe von Schülern und Mitarbeitern das Regelbuch überprüfen und Empfehlungen abgeben, welche Regeln aufgehoben oder geändert werden sollen. Unterhalb der Ebene der Regeln soll es möglich sein, Anliegen als Bitte einzubringen und als Appell an die Schulgemeinschaft zu richten. Bitten sollen in der Schulversammlung diskutiert werden; über sie findet jedoch keine Abstimmung statt, sondern sie werden einfach zur Kenntnis genommen und veröffentlicht.
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Auch wenn sich nicht immer alle Schüler an der Diskussion und Beschlussfassung beteiligen, so wissen sie doch, dass sie die Schulversammlung nutzen können, wenn sie eine Entscheidung in ihrem Sinne beeinflussen wollen. Die jüngeren Schüler werden sich vorrangig dann beteiligen, wenn sie eine ihnen persönlich wichtige Angelegenheit durchsetzen wollen, etwa die Anschaffung bestimmter Dinge, die Einrichtung einer Spielzimmer-Arbeitsgemeinschaft oder eine bestimmte Schulregel.
Die Schulversammlung stellt eine gute Gelegenheit dar zu lernen, vor Publikum zu sprechen und sich verständlich zu artikulieren. Sie praktiziert eine Diskussionskultur, in der man einander ausreden lässt und sich gegenseitig zuhört, in der jeder ermutigt wird, seine Meinung, Bedenken oder Vorschläge zu äußern – eine Diskussionskultur, in der man gemeinsam nach guten Lösungen sucht.
4.2 Das Justizkomitee
Das Justizkomitee ist jenes Gremium der Schule, das sich mit Regelverstößen befasst. Es besteht aus einem Mitarbeiter und mehreren Schülern unterschiedlicher Altersgruppen, die sich regelmäßig abwechseln. Wie oft sich das Justizkomitee trifft, hängt von der Anzahl der zu bearbeitenden Beschwerden ab.
Das Verfahren orientiert sich an einem fünfstufigen Ablauf, der in rechtsstaatlichen Verfahren überall auf der Welt in ähnlicher Form angewendet wird: Beschwerde, Ermittlung, Anklage, Verhandlung, Urteil. Das Justizsystem der Schule wird grundsätzlich nur tätig, wenn ein Schüler oder Mitarbeiter mit einer schriftlichen Beschwerde anzeigt, dass eine Schulregel verletzt worden sei. Das Justizkomitee nimmt Ermittlungen zu Hintergründen der vorgeworfenen Tat auf, um gegebenenfalls eine Art Anklageschrift zu verfassen, welche die verletzten Schulregeln benennen muss.
Liegt diese vor, kommt das Justizkomitee zu einer Sitzung zusammen. Der Beschuldigte und mögliche Zeugen werden vorgeladen. Räumt der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Regelverletzung ein, bestimmen die Mitglieder des Justizkomitees das Strafmaß, das von einer Verwarnung über Wiedergutmachung, gemeinnützige Arbeit oder zeitweiligen Ausschluss von Teilen des Schulgebäudes bis zur Empfehlung des Schulausschlusses reichen kann. Bestreitet der Beschuldigte die Tatvorwürfe, findet eine Art Gerichtsverfahren statt, um die Schuldfrage zu klären. Dabei gilt jeder Beschuldigte als unschuldig, solange ihm nicht die Verletzung einer Schulregel nachgewiesen worden ist.
Entscheidungen des Justizkomitees, die als ungerecht empfunden werden, können angefochten werden und müssen dann in zweiter und letzter Instanz vor der Schulversammlung erneut diskutiert und abgestimmt werden.
Da Regeln für Schüler und Mitarbeiter gelten, werden vor dem Justizkomitee Schüler und Mitarbeiter gleichermaßen zur Verantwortung gezogen.
Zweck des Justizkomitees ist die Durchsetzung der demokratisch beschlossenen Regeln, darunter vor allem der Schutz der Rechte des Einzelnen. Mit dem Justizkomitee gibt die Schule den Schwächeren ein Instrument in die Hand, sich gegen Übergriffe zu wehren. Die vergleichsweise aufwändige Struktur dient dem Anspruch an eine rechtsstaatliche Verfahrensweise und damit der Gerechtigkeit, die für diese Schule zentral ist.
Die Teilnahme am Justizkomitee ist für die Schüler verpflichtend. Jedes Schulmitglied muss vor dem Justizkomitee erscheinen, wenn es einer Regelverletzung beschuldigt oder als Zeuge geladen wird. Über die genaue Ausgestaltung entscheidet die Schulversammlung. Sie kann beispielsweise regeln, dass jeder verpflichtet wird, an den Beratungen des Justizkomitees teilzunehmen. Auf diese Weise findet sich niemand immer nur auf der Anklagebank wieder, sondern erlebt das Justizkomitee auch von der anderen Seite: als jemand, der selbst über das Verhalten anderer urteilen und Strafen verhängen muss. Und dabei erfährt er, wie schwierig die Herstellung von Gerechtigkeit ist. Wir denken, dass diese gleichmäßige Aufteilung der Macht wichtig für die Akzeptanz des Justizsystems ist. Es verdeutlicht, dass die Macht nicht allein in den Händen der Erwachsenen liegt, sondern alle gleichberechtigt an ihr teilhaben.
Da das Justizsystem jedem ermöglicht, gegen Übergriffe vorzugehen, kann Gewalt unter Schülern bereits im Ansatz verhindert werden. Die Schüler lernen, Konflikte gewaltfrei zu be[1]wältigen. An die Stelle des Justizkomitees kann auch eine gesonderte Schulversammlung treten, die die Aufgaben des Justizkomitees übernimmt.
4.3 Vermittlung und Mediation
In einer Demokratischen Schule können persönliche Konflikte auftauchen, die nicht mit der Verletzung einer Schulregel einhergehen und sich nicht mittels Regeln klären lassen. Für solche Fälle kann Mediation ein Verfahren zur Vermittlung zwischen den Konfliktparteien sein. Die Mediation kann sich nach folgenden Grundsätzen richten:
- Die Teilnahme ist sowohl für die Konfliktparteien als auch für den Mediator freiwillig und setzt bei den Konfliktparteien Verhandlungsbereitschaft voraus.
- Ein Mediator unterstützt die Parteien, die beste Lösung zu finden.
- Die Mediation ist ergebnisoffen.
- Der Mediator steht auf der Seite jedes Beteiligten. Besteht ein Machtgefälle zwischen den Parteien, kann er vorübergehend als Sprachrohr der schwächeren Partei agieren.
Das zentrale Anliegen einer Meditation besteht darin, die Konfliktparteien (wieder) miteinan[1]der ins Gespräch zu bringen. Dazu ist es etwa hilfreich, Inhalts- und Beziehungsaspekte von[1]einander zu trennen, individuell unterschiedliche Wahrnehmungen als Konfliktfaktoren anzu[1]erkennen oder einen Perspektivenwechsel vorzuschlagen.
Sowohl Schüler als auch Mitarbeiter können Mediatoren sein. Oft sind Schüler selbst soweit für die Bedürfnisse ihrer Mitschüler sensibel, dass sie von sich aus die Initiative ergreifen und Hilfe anbieten. In bestimmten Situationen sind sie bessere Vermittler als die Erwachsenen.
4.4 Vermeidung informeller Hierarchien
Die Demokratische Schule X ist sich bewusst, dass unter demokratischen Strukturen den[1]noch Dynamiken entstehen können, die nicht der Idealvorstellung von demokratischen Pro[1]zessen entsprechen.
So treffen bei den Entscheidungsprozessen Personen mit den unterschiedlichsten Herangehensweisen und verschiedensten Denkstrukturen aufeinander. Unterschiede in Wortgewandtheit, Wissensstand und der zur Beurteilung einer Situation erforderlichen Analysefähigkeit können zu Dominanzen führen, die von einigen Beteiligten aber mitunter gar nicht wahrgenommen werden. So kann es vorkommen, dass sich Menschen in eigentlich als gleichberechtigt gedachten Zusammenhängen eingeschüchtert fühlen und ihre Ansichten nicht (mehr) äußern, obwohl gerade das Vorbringen dieser Ansichten eine Entscheidung wesentlich hätte beeinflussen können. Menschen, die Unterordnung in Hierarchien gewohnt sind, fällt es selbst in hierarchiearmen demokratischen Gremien schwer, ihre Meinung zu sagen oder ihre Kritik an Vorschlägen zu äußern. Ebenso lässt sich bei ehemals hierarchisch höher stehenden Personen beobachten, dass sie bei gleichberechtigten Gruppenentscheidungen schnell verärgert reagieren, wenn sie keine Anordnungen treffen können, sondern über ihre Positionen diskutieren und verhandeln müssen.
Wo es informelle Hierarchien oder unausgesprochene Interessen gibt, sollten diese ange[1]sprochen und somit aufgedeckt werden. Dazu gehört, auf zweierlei Art mit Kritik umgehen zu lernen. Zum einen als Empfänger, zum anderen als Kritik Übender. Dies verlangt manchmal auch den Mut, einen Freund zu kritisieren. Gleichzeitig gilt es zu lernen, wie man eine Sache kritisiert, ohne die Persönlichkeitsrechte seines Gegenübers zu verletzen.
Mögliche Maßnahmen zur Vermeidung informeller Hierarchien sind Amtszeitbegrenzungen und das Verbot von Ämterhäufungen, weil so die Etablierung von Informationsmonopolen und Wissenshierarchien erschwert wird. Gegen dominantes Redeverhalten in Diskussionen helfen eine Redeleitung, die das Wort erteilt und gegebenenfalls wieder entziehen kann, Re[1]dezeitbegrenzungen und „Runden“, in denen jeder unabhängig von einer aktiven Meldung nacheinander die Gelegenheit hat, etwas zu sagen („Blitzlichtrunden“). Eine weitere Maß[1]nahme kann darin bestehen, dass Beschwerden oder Anliegen anonym (schriftlich) einge[1]bracht werden, damit ohne Ansehen der Person nur über den Inhalt diskutiert wird.