Hier zwei Gewichte in den Schalen einer Waage. Sie sind in jedem Unterricht für jede Schülerin und jeden Schüler von großer Bedeutung, genauer: Von Bedeutung ist deren Verhältnis zueinender. Dieses Verhältnis drückt sich in der Reaktion der Waage aus.
In drei Szenarien werden die möglichen Verhältnisse skizziert und überlegt, welche Konsequenzen sie für die betroffenen Schülerinnen und Schüler haben:
- Die Aufgabe ist schwerer als die Kraft,
- sie ist leichter als die Kraft,
- beide sind in Balance.
Das Wichtigste vorweg
Aus dem Vergleich der Szenarien folgt, dass Lehrkräfte die Wahl des Anspruchniveaus ihrer Aufgaben nicht am durchschnittlichen Leistungsvermögen der gesamten Klasse orientieren sollten, sondern dass Lernende mit unterschiedlichem Leistungsvermögen nach Ähnlichkeit zusammengefasst werden und mit für sie passenden Aufgaben versorgt werden sollten (Innere Differenzierung nach Leistungsniveau). So kann für jeden einzelnen Schüler annähernd eine Balance erreicht werden.
Wird die Balance für einen Teil der Schüler langfristig verfehlt, hat das – wie nachfolgend gezeigt wird – nicht nur Konsequenzen für die Entwicklung ihrer Leistungsfähigkeit, sondern weit darüber hinaus auch für ihre Persönlichkeitsentwicklung. Daher ist innere Differenzierung nach Leistungsfähigkeit eine Frage der Fairness.
Szenario 1 – Das Anspruchsniveau der Aufgabe ist für diesen Schüler in Balance mit den Möglichkeiten zur Bewältigung. In diesem Fall ist die Aufgabe subjektiv schwer, kann aber mit Anstrengung bewältigt werden. In dieser Konstellation ist der Abschluss der Aufgabe ein Erfolg. Die Aufgabe teilt dem Lernenden mit, dass er tüchtig ist (Selbstreferenz der Aufgabe). Er macht die Erfahrung, dass er sich im Unterricht keine Sorgen machen muss, was immer kommt, er wird es meistern. Dieses Szenario führt – bei längerfristigem und häufigem Auftreten – zu dem Aufbau von Erfolgszuversicht/Erleben von Selbstwirksamkeit, also zu den Grundpfeilern von Selbstvertrauen.
Szenario 2 – Das Anspruchsniveau der Aufgabe ist für diesen Schüler nicht an seine Kraft zur Bewältigung angepasst. Sie ist so schwer, dass sie auch mit Anstrengung nicht bewältigt werden kann. In dieser Konstellation ist der Abschluss der Aufgabe ein Versagen. Die Aufgabe teilt dem Lernenden mit, dass er zu schwach ist. Er macht die Erfahrung, dass er, wenn er sich anstrengt, dennoch keinen Erfolg hat. Um dieser Selbstreferenz der Aufgabe zu entgehen, scheint es ihm möglicherweise besser, weil Selbstwert wahrend, garnicht erst mit der Arbeit zu beginnen, sondern die Lehrkraft zu informieren, dass er kein Interesse hat (Leistungsverweigerung). – Dieses Szenario führt in das Risiko des Selbstzweifels und der Mißerfolgsorientierung, aufgrund der Verweigerungssituation auch in Konflikte mit Lehrkräften, Eltern und Verlust von Ansehen bei Mitschülern.
Szenario 3 – Die Aufgabe ist für diesen Schüler nicht an die Kraft zur Bewältigung angepasst. Das Potenzial des Lernenden ist im Verhältnis zur Aufgabenschwierigkeit so hoch, dass er sich nicht anstrengen muss. In dieser Konstellation ist der Abschluss der Aufgabe eine belanglose Routine. Die Aufgabe teilt dem Lernenden mit, dass er im Unterricht nichts lernt, dass Unterricht also Mühe ohne Lohn verlangt und irrelevant – „langweilig“ – ist. Der Lernende lernt nicht, seine Kräfte an Herausforderungen zu steigern und zu erproben, sondern der Unterricht verweigert ihm solche Chancen. – Dieses Szenario führt – bei längerfristigem und häufigen Auftreten – zu Langeweile und Leistungsverweigerung (oppositionell oder resignativ) und nicht selten zu Leistungsversagen. Da ernsthafte Auseinandersetzung mit Schwierigkeiten nicht angeboten wird, wird das „Lernen lernen“ versäumt.
Weiterführendes zur Leistungsmotivation gibt es hier
Die Wirkungen auf den Schulerfolg und die Persönlichkeitsentwicklung werden hier beschrieben