Diese Publikation stammt aus dem Jahr 2018. Sie berührt einen wichtigen, wenn auch heiklen Punkt im Zusammenhang der Lehrerbildung. Hier zum full text und hier zur url
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Die zentrale These findet sich in Abschnitt 2, S. 124. nachstehend in vereinfachter Fassung:
Kollegialität von Lehrkräften wird in der Erziehungswissenschaft auch als Erklärung dafür angeführt, dass Reformansprüche scheitern, wenn sie die Zusammenarbeit unter Lehrkräften verändern wollen. Lehrkräfte schützen sich vor (aus ihrer Sicht) unsachgemäßen und inkompetenten Eingriffen in ihren Unterricht, indem sie bei der Umsetzung der Reformansprüche kollegiale Zurückhaltung üben. Kollegialität bietet Schutz vor Eingriffen und darüber hinaus die Möglichkeit, weitere professionelle Herausforderungen zu bewältigen. In der Erziehungswissenschaft (z.B. Reh, Luhmann) wird dieser Schutz verstanden als freie, weil nicht falsifizierbare Möglichkeit von Kollegen, Ursachen für Erfolg und Misserfolg von pädagogischen Maßnahmen nicht sich selbst, sondern den Schülern oder der Umwelt zuzuschreiben. Kollegialität garantiert, dass Zuschreibungen „gelassen und entlastet“ vorgenommen werden können. Im Umgang mit der Ungewissheit und den widersprüchlichen Anforderungen des Lehrerberufs sichert diese Autonomie die Bedingungen für ein (aus der Sicht der Kollegen) professionelles Handeln in der Organisation.
In der Orininalfassung:
Kollegialität wird im erziehungswissenschaftlichen Diskurs vornehmlich als Erklärungsmoment für das Scheitern von programmatischen Reformansprüchen in Bezug auf Kooperation und Zusammenarbeit unter Lehrkräften angeführt (Kolbe/Reh 2008; 124 Daniel GoldmannZISU Jg. 7 | 2018; Kelchtermans 2006; Idel et al. 2012). Wie Wellendorf (1967) konstatiert, schützen sich Lehrkräfte mit einer gegenseitigen kollegialen Zurückhaltung vor unsachgemäßen und inkompetenten Eingriffen auf ihren Unterricht. Reh (2008) erweitert diese These zur Bedeutung der Kollegialität in Anschluss an Luhmann (2002), indem sie Kollegialität nicht nur als Schutz vor Eingriffen sieht, sondern auch als Möglichkeit, professionelle Anforderungen zu bewältigen. Konkret bezieht sich dies auf die These, dass Lehrkräfte die Ursachen für Erfolg und Misserfolg ihrer pädagogischen Maßnahmen aufgrund des Technologiedefizits – oder präziser: dem „Nichterreichbarkeitsparadox“ (Kade 2004: 203) – nicht empirisch feststellen können, sondern diesen entweder sich, den Schüler*innen oder der Umwelt zuschreiben müssen. Kollegialität garantiere, dass diese – in letzter Konsequenz immer kritisierbaren – Zuschreibungen „gelassen und entlastet“ (Reh 2008: 166) vorgenommen werden können. Sie ist demnach „Ausdruck von Profession im Sinne von Autonomiegewinn innerhalb der Organisation und stellt die Bedingungen dafür sicher, professionelles, fallspezifisches Handeln im Umgang mit Ungewissheit und widersprüchlichen Handlungsanforderungen innerhalb der Organisation hervorzubringen“ (Kolbe/Reh 2008: 802).
Im Abstract heißt es: Die rekonstruierten Daten verdeutlichen nicht nur gängige Praxisformen der Kollegialität in Schulen,
sondern verweisen des Weiteren darauf, dass Kollegialität zwar auch als Ausdruck von Profession verstanden werden kann, gleichzeitig aber die Gefahr besteht, dass darüber individuelle Professionalisierungsdefizite verdeckt und nicht über eine professionsinterne ‚Qualitätssicherung‘ bearbeitet werden.