Die gemeinsame Initiative von KMK und allen Bundesländern zur Förderung von leistungsstarken Schülerinnen und Schülern (LemaS) hat die bildungspolitische Fokussierung auf Hochbegabtenförderung (Mitte der 90er Jahre bis etwa 2010) abgelöst. Nach längerem Vorlauf haben Bund und Länder Ende 2016 die Neuorientierung beschlossen.
LemaS verändert die vormalige Zielgruppe der „Hochbegabten“ (Kriterium IQ) zu einer Schnittmenge von Schülern mit hoher Begabung (ohne Bezug zu IQ) und/oder hoher Leistung, mit dem Ergebnis, dass die Teilgruppe von „Hochbegabten“ mit durchschnittlichen oder geringen Leistungen neu zugeordnet wird: Sie gehört zu den Schülerinnen und Schülern, unter denen im Zuge einer allgemeinen Begabungsförderung potenziell Hochleistende identifiziert werden sollen oder sie fällt unter dem Ziel der Inklusion unter die Teilgruppe, die individuelle Förderung erhalten soll.
„Das Ziel der Initiative „Leistung macht Schule“ gilt zwar vor allem dem Erkennen und der Förderung leistungsstarker und potenziell besonders leistungsfähiger Schülerinnen und Schüler, also der Begabtenförderung. Voraussetzung der Begabtenförderung ist aber das Erkennen von Begabungen und die Begabungsförderung als prinzipielle Förderung der Begabungen aller Kinder und Jugendlichen … . Das Heranführen aller Kinder an unterschiedliche Domänen erlaubt erst das Entdecken von Begabungen und das Erkennen leistungsstarker und potenziell besonders leistungsfähiger Schülerinnen und Schüler.“ (https://www.leistung-macht-schule.de/files/240723-Leistung-macht-Schule-Begriffsklaerung.pdf)
Die vertrauten Begriffe aus der beendeten Phase der Hochbegabtenförderung werden neu gemischt und kombiniert. In der Erläuterung des Leistungsbegriffs wird zwischen Begabten- und Begabungsförderung unterschieden. Die Begabtenförderung, das eigentliche Projekt von LemaS, meint die Schülerinnen und Schüler mit beobachtbaren hohen Leistungen. Begabungsförderung dagegen bezieht sich auf das Gesamt der Schülerinnen und Schüler, aus dem durch Identifizierung und Förderung weitere Hochleistende entwickelt werden können. Zur Begrifflichkeit von LemaS Zur wissenschaftlichen Analyse des Leistungsbegriffs
Underachievement
Im Zusammenhang von „Begabungsförderung“ wird auch Underachievement erwähnt und implizit mit familiärer und sozialer Herkunft erklärt.
„Leistung macht Schule“ zielt insbesondere auch darauf, Schülerinnen und Schüler unabhängig von deren familiärer und sozialer Herkunft in den Blick zu nehmen. Deren Begabungen bleiben oft unerkannt, weil sie sich nicht im Leistungsverhalten abbilden. – Schülerinnen und Schüler, die das Entwicklungspotenzial zu deutlich überdurchschnittlichen Leistungen mitbringen, aber aus unterschiedlichen Gründen nur durchschnittliche oder auch unterdurchschnittliche Leistungen in einem oder mehreren Leistungsbereichen erbringen, werden im Fachjargon als ‚erwartungswidrige Minderleister‘ oder ‚Underachiever‘ bezeichnet. (ebda.)
Umweltabhängigkeit der kognitiven Grundfähigkeit
Eine andere Implikation der neuen Begriffsbestimmung betrifft die Veränderbarkeit der kognitiven Grundfähigkeit (nicht der Intelligenz, der Begriff wird vermieden) durch Förderung von Persönlichkeitsentwicklung, psychosozialen Fertigkeiten und äußeren Einflüssen.
Begabung meint das leistungsbezogene Entwicklungspotenzial eines Menschen. Begabung bezieht sich damit auf die personenbezogenen Voraussetzungen der Leistungsentwicklung*. Begabung umfasst neben Fähigkeiten auch Persönlichkeitsmerkmale und psychosoziale Fertigkeiten. Sie ist entwickel- und veränderbar. So können etwa ein emotional positives Lernklima und ein stärker herausfordernder, anspruchsvoller Unterricht dazu führen, dass sich die Lern- und Leistungsmotivation und die kognitiven Grundfähigkeiten eines Schülers oder einer Schülerin verbessern (sic!) (dynamischer, multidimensionaler Begabungsbegriff). – *Grundsätzlicher Hinweis: Die Leistungsentwicklung ist stets multifaktoriell bedingt. Sie hängt nicht nur von der Person und damit von der Begabung ab, sondern auch von spezifischen Lebenskontexten, äußeren Einflüssen und gesellschaftlichen (darunter auch schulischen) Rahmenbedingungen. (ebda.)
Bildungsgerechtigkeit
LemaS nimmt das gleiche Gerechtigkeitsargument für sich in Anspruch, das zuvor für die Hochbegabtenförderung in Anspruch genommen wurde.
LemaS: „Bund und Länder verbessern mit dieser Initiative die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland. Die klugen Köpfe von morgen zu erkennen und zu fördern ist aber nicht nur gerecht, sondern eine entscheidende Investition in die Zukunft unseres Landes. Die immer komplexeren Probleme unserer Welt brauchen Menschen, die mit hoher Kompetenz, wacher Intelligenz und sozialer Verantwortung zu denken gelernt haben. Dazu werden in der Initiative Leistungsstärkere systematisch entdeckt und gefördert.“ (https://www.leistung-macht-schule.de/)
Die Zyklen der bildungspolitischen Überzeugungen drehen sich weiter. Welche Mühe hat es gekostet, deutlich zu machen, dass Hochbegabte nicht das Humankapital der Gesellschaft sind. In gesellschaftlichen Spitzenpositionen sind sie nicht überzufällig oft vertreten! Aber auch ohne ökonomische Nützlichkeitserwägungen haben sie z.B. aufgrund von § 3,6 HSchG Anspruch auf individuelle Förderung ihrer Begabung (s.auch). Das gleiche trifft für die Gruppe der Hochleistenden zu. LemaS betont, dass Leistung eine flexible Entwicklung sei und begleitend zur Schullaufbahn diagnostiziert werden müsse. Dann ist es nur konsequent, diesen Gedanken über das Ende von Bildung und Ausbildung hinaus fortzusetzen. Tatsächlich nimmt die prognostische Validität der Schulnoten für spätere Hochleistung im Lebensverlauf ab. Auch die Hochleistenden sind nicht das Humankapital der Gesellschaft. (Die Marburger Hochbegabtenstudie hat unter den Hochleistenden einen durchschnittlichen IQ von 116 festgestellt. Hochbegabte und Hochleistende sind verschiedene Gruppen.)
Tatsächlich liegt dem Paradigmenwechsel die politische Notwendigkeit zugrunde, eine Antwort auf die enttäuschende Position des deutschen Bildungssystems im internationalen Vergleich zu geben. Nach dem PISA Schock 2001 wurde zunächst viel Geld für die Verbesserung des Systems ausgegeben, ohne dass eine angemessene Entwicklung erreicht werden konnte. Mit LemaS werden erneut erhebliche Mittel aufgewendet, die in eine riesige Organisation von Netzwerken fließen, die das Ziel, den Unterricht vor Ort zu verändern, unterstützen sollen. Die zentrale Vokabel von LemaS ist Innere Differenzierung/Individuelle Förderung.
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Zum Thema Hochbegabtenförderung als Entwicklung von Humankapital hier