Bisher enthaltene Texte:
+ Menschliche Händigkeit. Eine Meta-Analyse hier (Psychological Bulletin, 2020, internat. Studie)
+ Kognitive Vorteile der Rechtshändigkeit – Überprüfung. hier (Neuroscience and Behavioral Reviews, 2015, amerik. Studie)
+ Zur Assoziation von Händigkeit, Persönlichkeits- und kognitiven Leistungsparametern. hier (Masterarbeit der Uni Wien, 2014)
+ Handschriftliche Kinematik beim Erlernen des Schreibens mit der dominanten linken Hand bei erwachsenen konvertierten Linkshändern hier (Scientific Reports, 2023, deutsche Studie)
+ Beziehung zwischen Sprache und motorischer Lateralisierung hier (deutsche Studie)
+ Assoziationen zwischen Händigkeit und funktionellen Konnektivitätsmustern im Gehirn von Kindern hier (Nature, 2020, amerikanische Studie)
Ergänzend zum Zusammenhang von Händigkeit und Kognition hier kurze Zusammenfassungen von zwei relevanten
Untersuchungen:
Relationship Between Handedness and Cognition Performance of University Undergraduates, 2021
Lefthandedness and Cognition, 2024
+ Händigkeit und neurologische Erkrankungen hier (Psychological Bulletin, 2025, deutsch-griechische Studie)
Editorial
Seit Beginn der 20er Jahre unseres Jahrhunderts haben Fragen der Lateralisierung des Gehirns international Aufmerksamkeit gefunden. Die Ergebnisdiskussionen zeigen, dass viele Befunde zwar statistisch beschrieben, aber nur ansatzweise inhaltlich und praxisrelevant interpretiert werden können. Wir haben die aktuellen Arbeiten zur Händigkeit, zum Handschrifterwerb, zur Sprachentwicklung und zu möglichen Verknüpfungen mit psychopathologischen Entwicklungen zusammengestellt. Nachfolgend geben wir zu jeder Publikation Hinweise, die die jeweiligen Zusammenfassungen ergänzen.
Hinweise zu den einzelnen Arbeiten:
Die Studie „Human handedness: A meta-analysis“ von Papadatou-Pastou et al. (2020) bietet eine umfassende Meta-Analyse zur Prävalenz und den Einflussfaktoren der Händigkeit beim Menschen. Die Autoren untersuchten die Häufigkeit von Links- und Rechtshändigkeit sowie die moderierenden Faktoren, die diese Verteilung beeinflussen. Trotz zahlreicher Einzelstudien fehlte bisher eine groß angelegte, systematische Analyse zu diesem Thema. Dazu wurden fünf Meta-Analysen durchgeführt, die jeweils verschiedene manuelle Aufgaben berücksichtigten. Dabei wurde die Prävalenz von Linkshändigkeit je nach Definition zwischen 9,3 % (strenge Kriterien) und 18,1 % (weite Kriterien) festgestellt. Die beste Gesamtschätzung lag bei 10,6 %. Wurden Studien mit Spitzensportlern ausgeschlossen, betrug die Schätzung 10,4 %.
Die Studie „Cognitive benefits of right-handedness: A meta-analysis“ untersucht, ob Links- oder Rechtshänder signifikante Unterschiede in verbalen und räumlichen Fähigkeiten aufweisen. Dabei wurde auch untersucht, ob das Geschlecht einen Einfluss auf diese Fähigkeiten in Verbindung mit der Händigkeit hat. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Rechtshändigkeit mit einem leichten Vorteil in räumlichen Fähigkeiten verbunden ist, während bei verbalen Fähigkeiten keine signifikanten Unterschiede zwischen Links- und Rechtshändern bestehen. (vgl. hierzu auch die Studie „Zur Assoziation von Händigkeit, Persönlichkeits- und kognitiven Leistungsparametern“)
Die Studie „Associations between handedness and brain functional connectivity patterns in children“ von Tomasi und Volkow (2024) untersucht, wie die Händigkeit (Links-, Rechts- oder Beidhändigkeit) mit der funktionellen Konnektivität * des Gehirns bei 9- bis 10-jährigen Kindern zusammenhängt. Forschungen zu dieser Frage gibt es bereits für Erwachsene (aber auch steht das Verständnis der Konnektivität noch am Anfang), jedoch kaum für Kinder. Die Ergebnisse zeigen erwartungsgemäß, dass linkshändige Kinder eine erhöhte globale funktionelle Konnektivitätsdichte in der linken motorischen Handregion und eine verringerte in der rechten motorischen Handregion aufweisen, verglichen mit rechtshändigen Kindern.
Wichtig ist hier nicht nur die bekannte spiegelbildliche Organisation des Gehirns, sondern sind die unterschiedliche Verteilung und Stärke der globalen funktionellen Konnektivität, die sich u.a. auch auf Sprachverstehen und visuelle Wahrnehmung beziehen. (vgl. hierzu auch die Studie „Zur Assoziation von Händigkeit, Persönlichkeits- und kognitiven Leistungsparametern“)
Was bedeutet das für die Praxis: Die Ergebnisse begründen die Erwartung, dass bei linkshändigen Kindern abweichende Konnektivitätsmuster (nach Ort und Stärke) zu erwarten sind. Die Folgerung für Therapeuten und Lehrkräfte ist einmal mehr, nicht für alle Kinder, vor allem nicht für die linkshändigen, die gleichen Wege durchzusetzen, sondern den Kindern zuzuschauen und zuzuhören, um herauszufinden, welche Wege sie selbst gehen. Offenbar gibt es zwischen links-/rechts- und beidhändig orientierten Kindern funktionelle Unterschiede der Konnektivität, die nur durch sorgfältige differenzierende Beobachtung ermittelt werden können. Lehrende sollten Kinder nicht „ziehen“, sondern ihnen „folgen“, um diagnostische Informationen aus ihren Beobachtungen herauszuarbeiten.
Die Studie „Zur Assoziation von Händigkeit, Persönlichkeits- und kognitiven Leistungsparametern …“ untersucht Zusammenhänge zwischen der bevorzugten Handnutzung und verschiedenen psychologischen, kognitiven und physischen Merkmalen. Besonders interessant sind hier die Ergebnisse zu Persönlichkeitsmerkmalen und kognitiven Leistungen: zum „Sensation Seeking“, zur Gedächtnisleistung, verbalen Fähigkeiten und zum logischen Denken. Die umfangreiche Studie ist mit Sprungmarken wiedergegeben, so dass der gezielte Zugriff auf einzelne Kapitel sehr einfach ist.
Die Studie „Handwriting kinematics during learning to write with the dominant left hand in converted left-handers“ hat erwachsene Probanden untersucht. Nach 2 Jahren Training nutzten diese ihre linke Hand häufiger als die natürlichen Linkshänder, allerdings erreichten sie nicht deren Geschwindigkeit und Niveau.
Die Studie „A large-scale estimate on the relationship between language and motor lateralization“ untersucht den Zusammenhang zwischen der Lateralisierung der Sprachverarbeitung im Gehirn und motorischen Asymmetrien wie Händigkeit und Füßigkeit. Bei 82,1 % der über 15000 Probanden wurde ein Rechtsohrvorteil festgestellt, was auf eine typische linkshemisphärische Sprachverarbeitung hinweist. Zwar zeigten die Linkshänder häufiger eine atypische, also nicht linksseitige, Sprachlateralisierung, dieser Unterschied ist aber nicht signifikant. Bei Männern kommt eine linkshemisphärische Sprachverarbeitung häufiger vor als bei Frauen, aber auch dieser Unterschied ist nicht signifikant.
(vgl. hierzu auch auch die Studie „Zur Assoziation von Händigkeit, Persönlichkeits- und kognitiven Leistungsparametern“)
Die Studie “ Was Händigkeit und neurologische Erkrankungen verbindet“: Frühere Beobachtungen deuteten darauf hin, dass Links- oder Gemischthändigkeit bei Personen mit bestimmten neurologischen Erkrankungen wie Autismus-Spektrum-Störungen häufiger vorkommt. Die Forschenden vermuteten, dass sowohl Händigkeit als auch diese Erkrankungen durch Prozesse in der frühen Hirnentwicklung beeinflusst werden. Ziel der Studie war es, diesen Zusammenhang systematisch zu untersuchen. Ein internationales Forschungsteam aus Bochum, Hamburg, Nimwegen und Athen führte eine Meta-Analyse durch, um zu klären, ob abweichende Händigkeit häufiger bei Erkrankungen auftritt, die früh im Leben beginnen und mit sprachlichen Symptomen einhergehen. Die Studie liefert Hinweise darauf, dass abweichende Händigkeit (Links- oder Gemischthändigkeit) mit bestimmten neurologischen Entwicklungsstörungen assoziiert ist, insbesondere wenn diese früh im Leben beginnen und sprachliche Symptome beinhalten. Dies unterstützt die Hypothese, dass Händigkeit und solche Erkrankungen durch überlappende Prozesse in der frühen Hirnentwicklung beeinflusst werden. Achtung: Das heißt nicht, dass Linkshänder häufiger an psychopathologischen Störungen leiden, sondern zeigt nur, dass umgekehrt unter Personen mit psychopathologischen Merkmalen häufiger Linkshänder vertreten sind.